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Mario Büscher
Redakteur

Liebe Leserinnen und Leser, 

vor einigen Tagen kam unsere Kollegin morgens kopfschüttelnd ins Café: kurz zuvor hatte sie ihr Auto im Hinterhof geparkt und dabei beobachtet, wie ein leerer Pappkarton aus einem Fenster in der Nachbarschaft geflogen ist. Eine Anekdote, aber kein Einzelfall: Müll trübt schon länger das Gelsenkirchener Stadtbild. Viele haben das Gefühl, dass es in den vergangenen Jahren schlimmer geworden ist. Abfall auf der Straße macht etwas mit den Menschen. Sie fühlen sich in ihrer Stadt oder ihrem Viertel nicht mehr wohl. Der Zusammenhalt leidet, wenn Müll einfach auf den Boden geworfen und von anderen weggeräumt wird. Die Verwaltung versucht dem Problem Herr zu werden - aber das gelingt nicht immer.

Mülleimer mehr als verdoppelt

Schon ein kurzer Spaziergang rund um den Bahnhof reicht aus: An einem Glascontainer liegen massig Altkleider, in einer Einfahrt liegen kaputte Lampen und Spielzeug und alte Getränkepäckchen und Kippen findet man sowieso an fast jeder Ecke. Der städtische Entsorger Gelsendienste kennt das Problem. „Littering“, also das achtlose Wegwerfen von Müll, sei genauso ein Problem wie wilde Mülldeponien, erklärt uns ein Sprecher. Die Gelsendienste berichten von illegal abgestelltem Sperrmüll, alten Reifen, Renovierungsabfällen und Schadstoffen.

Die Problematik bewege sich seit Jahren auf einem „konstanten Niveau“. Allerdings findet der Entsorgungsdienst seit einiger Zeit mehr illegale Müllablagerungen, „die aufgrund der Art und Menge des Abfalls offensichtlich gewerblichen Ursprungs sind”. Heißt konkret: Wenn Mitarbeitende alte Reifen finden, dann nicht vier, sondern eher 40. Oder sie finden so viele abgestellte Orangenkisten an Altkleidercontainern, dass diese eigentlich nur von einem Supermarkt stammen können.

Seit 2017 habe der Entsorger mehr öffentliche Papierkörbe aufgestellt. Die Zahl sei von 2000 auf aktuell 4900 mehr als verdoppelt worden. Dadurch habe sich die Menge des gesammelten Müll deutlich erhöht. Müll, der sonst vielleicht auf der Straße gelandet wäre.

Illegal abgestellter Müll wird den Angaben nach „rasch“ entfernt. „Zumeist gelingt es unseren Teams, Verunreinigungen innerhalb von drei Werktagen nach dem Bekanntwerden zu beseitigen“, sagt ein Sprecher SPOTLIGHT Gelsenkirchen. Mülldetektive suchen zudem im Abfall nach Hinweisen auf Verursacher. 900 Ordnungswidrigkeitsverfahren hätten die Gelsendienste in diesem Jahr bereits eingeleitet.

1,5 Millionen Euro gegen wilde Mülldeponien

Für die gesamte Abfallentsorgung haben die Gelsendienste nach eigenen Angaben für das laufende Jahr 44 Millionen Euro veranschlagt -  etwa 1,5 Millionen Euro davon sollen für die Beseitigung illegaler Ablagerungen draufgehen. 2023 kostete die Abfallentsorgung 39 Millionen Euro. Zum Anstieg haben laut Gelsendienste höhere Personalkosten und der zu Anfang des Jahres gestiegene CO2-Preis beigetragen, durch den es jetzt teurer ist, den Müll zu verbrennen. Bei den Zahlen für das laufende und das vergangene Jahr (ebenfalls 44 Millionen Euro) handele es sich zudem um Planwerte - der Wert für 2023 steht bereits fest.

Und doch kommen die Gelsendienste nicht überall hinterher. Jeden letzten Samstag im Monat trifft sich in Gelsenkirchen-Horst deshalb eine Initiative, um Müll zu sammeln. Gründer Hans-Georg Kouker (66) hat sich für das Treffen mit Spotlight Gelsenkirchen seine orangene Warnweste mit der Aufschrift „Horst putzt sich heraus“ übergeworfen. Während er von seiner Idee erzählt, pickt er immer wieder Zigarettenschachteln, Servietten und Tetrapaks - die nerven ihn besonders - vom Boden auf. 

Hans-Georg Kouker sammelt Müll in seinem Stadtteil. Foto: Mario Büscher

„Wenn wir nicht gegen den Müll angehen, wird es immer weiter bergab gehen“, sagt Kouker, der auch Vorsitzender des Präventionsrat in Horst ist. Die Idee zum Sammeln sei ihm eines Tages vor mittlerweile gut vier Jahren unter der Dusche gekommen. An den Samstagen geht er seither mit seinen Mitstreitern durch den Stadtteil. Müllsäcke und Müllpicker gibt’s von den Gelsendiensten, mittlerweile stehen im Stadtteil verteilt auch einige schwarze Abfallkörbe mit Werbung seiner Initiative.

Nicht jeder könne sein Engagement nachvollziehen: „Manche sagen mir: Wofür machst du das, wir zahlen doch Steuern. Denen sage ich dann: Hast Recht, aber ich will mich nicht jeden Tag ärgern.“ Die Situation im Stadtteil habe sich mittlerweile verbessert. An einem unbewohnten Grundstück, wo früher immer Sperrmüll gestanden habe, hängt seit einiger Zeit ein Schild: „Müll abladen verboten!“ Den Satz hat Kouker auch auf französisch, englisch und türkisch übersetzen lassen. 

„Ich glaube zu sehen, dass sich was ändert“, sagt Kouker. Er setzt voll auf Aufklärung und Gespräche. Dass Strafen etwas bringen, denkt er nicht. Zu selten könnten Verursacher überhaupt gefunden werden.

Strafen schrecken kaum ab 

Wer in Gelsenkirchen eine Zigarettenschachtel auf den Boden wirft, muss 35 Euro blechen, für abgestellten Hausmüll in Säcken an der Straße werden 300 Euro fällig, bei alten Reifen bis zu 5000 Euro. Wenn er oder sie denn erwischt wird. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) glaubt bei Strafen ab 100 Euro an eine „abschreckende“ Wirkung. Wichtig sei aber, dass Regeln konsequent durchgesetzt werden. In Gelsenkirchen ist das offenbar nicht der Fall. Aber auch viele andere Kommunen haben laut dem VKU Probleme. Es fehle Personal und Geld.

Menschen wie Hans-Georg Kouker treten an diese Stelle. Der Horster hat den Traum hat den Traum mit seinen Aktionen irgendwann fünf Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner seines Stadtteils zu erreichen - das wären etwa 1000 Menschen. Es müssten gar nicht alle selbst mit Picker und Müllsack durch die Straßen ziehen. Kouker wäre schon glücklich, wenn jeder vor seiner Haustür ein bisschen auf Sauberkeit achten würde.  Derzeit sei Kouker von seinem Traum noch weit entfernt. Er hofft daher auch auf die Unterstützung größerer Supermärkte und Discounter im Stadtteil - zum Beispiel indem sie seine Mülleimer aufstellen. Bisher sei das aber nicht der Fall.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Abfall in Gelsenkirchen gemacht? Stört sie der Müll in der Stadt oder nehmen Sie ihn vielleicht gar nicht so schlimm wahr? Schreiben Sie mir gerne per Mail über mario.buescher@correctiv.org oder kommen Sie direkt in unser Café Spotlight!



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Mitreden

Nach unserer Recherche: Vereinsfunktionär tritt zurück
In der vergangenen Woche berichteten wir über einen hohen Gelsenkirchener Vereinsfunktionär, gegen den wegen sexueller Nötigung ermittelt wird. Als Reaktion auf unsere Recherche ist der Funktionär inzwischen von seinem Amt zurückgetreten. Ein junger Mann hatte ihn angezeigt und wirft ihm sexuelle Handlungen vor. Der Vorfall soll sich einem Hotelzimmer in Köln ereignet haben. Wir sprechen heute Abend bei uns im Spotlight-Café über das Thema: „Wie gehen wir mit Machtmissbrauch und Gewalt im Sport um?” Wenn Sie kurzfristig Lust haben, kommen Sie doch spontan dazu. Mehr Infos dazu finden Sie weiter unten in der Rubrik „Im Spotlight”.

Letzte Stadtrat-Sitzung vor der Sommerpause: Lachgas, Lärm und Schulden
Der Rat der Stadt hat in seiner letzten Sitzung dieser Wahlperiode noch einige Entscheidungen gefällt: So soll etwa der Verkauf, der Besitz und der Konsum von Lachgas im Zusammenhang mit Jugendlichen verboten werden. Einigkeit herrschte über das Verkaufsverbot. Dass der Besitz und der Konsum eine Ordnungswidrigkeit werden sollen, nannten die Grünen hingegen “Kinder- und Jugendschutz von vorgestern”. Minderjährige dürften nicht zu Tätern gemacht werden.

Laut dem für Ordnung zuständigen Dezernenten Simon Nowack mache hingegen “nur ein Abgabe-, Konsum-, und Besitzverbot Sinn”. Angelehnt sei das Verbot an das Jugendschutzgesetz, das den Konsum von Alkohol und Tabak durch Jugendliche verbiete. So richtig sicher schien Nowack bei dem Punkt aber nicht. Wir haben beim Bundesfamilienministerium nachgefragt. Das schreibt uns: „Die im Jugendschutzgesetz vorgesehenen Verbote adressieren nicht die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern die Anbietenden. Kinder und Jugendliche werden daher nicht sanktioniert, wenn sie Alkohol konsumieren, bzw. rauchen.”  Bei Lachgas sieht das in Gelsenkirchen dann demnächst anders aus: Die jetzt festgelegten Strafen liegen zwischen fünf und 1.000 Euro.

Einfahrverbot auf die Johannes-Rau-Allee ab 20 Uhr

Im Hafen Graf Bismarck wollen FDP, SPD, CDU, und Grüne die Raserszene in den Griff bekommen. Vier Dinge sollen passieren: 

  1. Parkverbot ab 18 Uhr auf definierten Abschnitten der Johannes-Rau-Allee
  2. Einfahrverbot in die Johannes-Rau-Allee ab 20 Uhr
  3. Sperrung des Parkplatzes der Weißen Flotte ab 18 Uhr
  4. Erweiterung der Anlieger-Frei-Beschilderung um Hausnummern

Sollte all das nicht helfen, wollen die Parteien eine temporäre Sperrung der Johannes-Rau-Allee für Autos diskutieren.

Land soll Altschulden übernehmen

Einig war sich der Rat bei der Teilnahme an einem Schuldenprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen. Wie das genau aussehen wird, ist noch nicht klar - darüber muss der Landtag entscheiden. Gelsenkirchen will aber einen Antrag stellen, sollte sich vor dem Beschluss nichts Grundsätzliches mehr ändern. Nach einer Berechnung des Städtetags könnte die Stadtverwaltung Altschulden in Höhe von rund 167 Millionen Euro an die Landesregierung übergeben. Dadurch würde die Verwaltung rund 4,8 Millionen Euro pro Jahr sparen, die sie sonst an Zinsen für die alten Kredite zahlen müsste.


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Im Spotlight

Auf der Bühne

In diesen Tagen läuten die politischen Parteien in Gelsenkirchen den Wahlkampf ein. Sie erzählen dabei, wie sie nach der Wahl Probleme angehen und lösen wollen.

Am 10. Juli um 19 Uhr machen wir von Spotlight Gelsenkirchen unseren eigenen Wahlkampfauftakt. Und zwar mit Ihnen und fünf Gelsenkirchenern, die aus ihrer Sicht und mit ihrer Expertise darüber sprechen, was sich nach der Wahl ändern sollte und wie Lösungen für Probleme aussehen können.

So wird unsere erste Spotlight Gelsenkirchen Pitch Night aussehen: Fünf Gelsenkirchener haben jeweils sieben Minuten Zeit für einen Impulsvortrag zu einem wichtigen Wahlkampfthema. Nach den Vorträgen kommen wir miteinander zu den Themen bei Snacks und kühlen Getränken ins Gespräch.

Auf der Bühne stehen an dem Abend:

  • Katrin Korte - Grundschullehrerin und Gewerkschafterin (Thema Bildung)
  • Merle Joachim - Geschäftsführerin des Gartenfachmarkts Düsing (Thema Wirtschaft)
  • Michael Niehaus - Teamleitung Flüchtlingshilfe der Caritas Gelsenkirchen (Thema Integration)
  • Kirsten Lipka - Macherin des Newsletters „Gelsenmylove” (Thema Kultur)
  • Dana Köllmann - Mitglied des Organisationsteams des Präventionsrates Feldmark (Thema Sicherheit und Ordnung)

Der Eintritt ist frei, Sie müssen sich lediglich anmelden. 

Unsere Veranstaltungen im Überblick

03.07.2025 - Wie gehen wir mit Machtmissbrauch und Gewalt im Sport um?
Diskussionsveranstaltung mit CORRECTIV-Reporter Jonathan Sachse und Katrin Gieß von der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt der Caritas Gelsenkirchen.
Zur Anmeldung

21.08.2025 - Faktencheck & Frizzante
Ein feuchtfröhlicher Workshop-Abend rund um Faktenchecks und Desinformation im Lokalwahlkampf – mit Miriam Bunjes von CORRECTIVs Reporterfabrik. Bei kühlen Drinks lernen Sie, was und wer hinter Desinformations-Kampagnen steckt, wie Sie Desinformation im Lokalwahlkampf erkennen und wie Sie sie selbst bekämpfen können.
Zur Anmeldung

Alle unsere Veranstaltungen finden Sie auf unserer Webseite.

Auf der Karte

Lust auf ein gesundes Mittagessen? Vor allem für heiße Tage können wir unsere süßen Bowls empfehlen!

Zum Beispiel mit Joghurt, Bio-Acai-Pürree, Hafermilch, Obst, Chiasamen, Kokosraspeln und Müsli für 10,90 €. Keine Sorge, es gibt sie auch in weniger fancy.

Hier geht es zu unserer gesamten Speisekarte.


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Die Woche auf einen Blick

18-Jähriger Gelsenkirchener gesteht Mord an seiner Mutter
Der junge Mann sitzt nach seinem Geständnis in Untersuchungshaft. Die Essener Staatsanwaltschaft sagt, dass die 46 Jahre alte Mutter des mutmaßlichen Täters an „Gewalteinwirkung gegen Kopf- und Oberkörper” starb.
wdr.de

Sanierung des Buerschen Doms wird wesentlich teurer
Die Pfarrei St. Urbanus geht inzwischen davon aus, dass sie rund 2,1 Millionen Euro für die Reparatur auftreiben muss. Ein Problem sind poröse Fugen in der Sandsteinfassade, durch die Ziegel herausbrechen könnten und durch die Wasser eindringt. Außerdem ist das Fundament beschädigt und einige Fenster haben Risse.
waz.de

Baustelle an der Bochumer Straße verzögert sich
Die Straßenbahn 302 fährt deshalb noch bis Mitte August nicht bis zum Hauptbahnhof durch. Die Schienen sind zwar fertig, die neue Ampelanlage kommt aber frühestens Mitte Juli. Außerdem haben die Arbeiter beim Kanalbau Hohlräume gefunden, die gefüllt werden müssen.
radioemscherlippe.de


Das war es für diese Ausgabe - vielen Dank, dass Sie bis hierher gelesen haben. Leiten Sie diese E-Mail gerne an Ihre Familie, Freunde oder Arbeitskollegen in Gelsenkirchen weiter. So können wir schneller wachsen. In den kommenden Wochen wollen wir diesen Newsletter weiter ausbauen und hoffen, dass Sie dabei bleiben.

Danke sehr!

Ihr

Mario Büscher


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Schon gewusst?

Es ging nicht in meinen Kopf: Wieso kommt am Hauptbahnhof in Gelsenkirchen nach Gleis acht direkt Gleis 25? Ich komme mit der RB46 ja immer vergleichsweise verlässlich an, aber eben auf Gleis 25, obwohl davor erstmal lange kein Gleis kommt. 

Eine schnelle Abfrage über gutefrage.de hat mir nicht gereicht, also schloss ich eine Anfrage bei der Deutschen Bahn an. Die teilt mit: Die für mich verwirrende Nummerierung hat historische Gründe. „Zu Beginn des Eisenbahnzeitalters wurde jedem Gleis im Bereich eines Stellwerks eine Zahl zugewiesen. Das erste Gleis am Bahnhofsgebäude trägt in der Regel die 1, das nächste die 2 und so weiter– ganz egal, ob an diesem Gleis ein Bahnsteig lag oder es nur ein Rangier- oder Durchfahrtsgleis ist.“ Für die Fahrgäste sei das zunächst unerheblich gewesen, weil die Gleise  nicht mit Nummern sondern Buchstaben, also A, B, und C, gekennzeichnet waren.

Irgendwann aber brauchte die Bahn die Buchstaben, um anzuzeigen, wo welcher Waggon hält. Es gibt oder gab die Gleise neun bis 24 am Bahnhof Gelsenkirchen also durchaus - allerdings derzeit nicht für den Personennahverkehr. Hat alles seine Richtigkeit! Und ich kann beruhigt schlafen.


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