

Tobias Hauswurz
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
können Sie sich vorstellen, dass in Gelsenkirchen ein ganzer Stadtteil einfach leer steht? In rund 9.000 Gelsenkirchener Wohnungen mit Platz für mehr als 18.000 Menschen wohnt niemand - und sollte in vielen Fällen auch niemand mehr wohnen, weil sie als „nicht mehr marktgängig” gelten, wie die Stadt Gelsenkirchen es in ihrem Wohnungsmarktbericht aus dem Jahr 2021 bezeichnet.
Konkret heißt das: Tausende Wohnungen sind so heruntergekommen, dass Menschen dort nur unter unwürdigen Bedingungen leben können.
Deshalb möchte die Stadt Gelsenkirchen bis 2032 rund 3.000 Wohnungen kaufen und abreißen. Das Geld dafür kommt vom Land. Das NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung ist mit der Stadt die „Zukunftspartnerschaft Wohnen” eingegangen. Ein hoher zweistelliger Millionenbetrag soll darüber in den kommenden Jahren nach Gelsenkirchen fließen, um Problemimmobilien zu kaufen und Quartiere neu zu entwickeln. Gestern kam ein zweiter Förderbescheid aus Düsseldorf über 15 Millionen Euro.


Werden bald abgerissen: Schrottimmobilien im Ahlmannshof in Gelsenkirchen-Bismarck.
Warum sind die leeren Wohnungen ein Problem?
Gibt es zu viele Wohnungen für zu wenige Menschen, sinken die Mieten. Auf den ersten Blick ist das gut für Mieter. Es führt aber dazu, dass viele Eigentümer kein Geld mehr in ihre Immobilien stecken, weil sie nicht daran glauben, das Geld nicht wieder über Mieten reinholen zu können.
Der Markt versagt und bricht zusammen.
Eine Abwärtsspirale beginnt: Einzelne Häuser verfallen und reißen schleichend ganze Straßenzüge mit sich. Das Stadtbild leidet, Nachbarn fühlen sich nicht mehr wohl und ziehen weg, was wiederum zu neuem Leerstand führt. Die Werte der Immobilien brechen zusammen, viele Menschen verlieren ihr kleines Vermögen, das sie für das Alter zurückgelegt hatten, weil sie dachten, Investitionen in Immobilien seien sicher. Nichts davon bewahrheitet sich. Im Gegenteil.
Die Stadt Gelsenkirchen beobachtet solche Entwicklungen vor allem in den Stadtteilen wie Schalke-Nord und Schalke, aber auch in der Altstadt, der Neustadt, Bulmke-Hüllen oder Ückendorf.
Was ist bisher passiert und wie geht es weiter?
Die „Zukunftspartnerschaft Wohnen” haben Stadt und Land 2022 unterzeichnet. Seitdem hat Gelsenkirchen mit den Landesmitteln 54 Problemimmobilien gekauft. Das sind rund 300 Wohnungen. Die ersten 10 Immobilien sollen noch in diesem Jahr abgerissen werden. Im Ahlmannshof in Gelsenkirchen-Bismarck etwa, wo nach dem Abriss unter anderem eine neue Kita entstehen soll, wie die Stadt jetzt ankündigte.
Problemimmobilien gelten als Nährboden für illegale Strukturen und Armutszuwanderung
Problemimmobilien zu kaufen und abzureißen ist für die Stadt Gelsenkirchen auch ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Sozialleistungsbetrug und illegale Strukturen rund um die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Viele der Immobilien, die die Stadt gerne abreißen möchte, würden dafür genutzt, um vor allem Menschen aus Bulgarien und Rumänien unter unwürdigen Bedingungen unterzubringen.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hatte zuletzt in einem Interview mit dem Stern von „mafiösen Strukturen” gesprochen, die es schnellstmöglich zu zerschlagen gelte.
Ein Vorstoß, den Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge in einer Pressemitteilung begrüßte: Menschen würden in Gelsenkirchen in heruntergekommenen Häusern leben, die sonst nicht vermietbar seien - zu überzogenen Preisen und in schwierigen Verhältnissen, so Welge. „Darauf weisen wir seit Jahren hin, bislang leider ohne Reaktionen bei Bund und EU.”
Auch Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in NRW, will Bas’ Initiative unterstützen. Gegenüber der WAZ sagte Scharrenbach am Wochenende, die Landesregierung arbeite Hand in Hand mit den Kommunen, um sehr aufwendig gegen Sozialleistungsmissbrauch vorzugehen.
Im Interview mit Spotlight Gelsenkirchen ergänzt Scharrenbachs Staatssekretär Daniel Sieveke die Forderung seiner Ministerin nach besseren rechtlichen Rahmenbedingungen. Auf die Frage, wie diese konkret aussehen könnten, sagt Sieveke: „Letztendlich geht es um Spielregeln, die einzuhalten sind und wo alle zu beitragen, dass es solche menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse und Unterbringungen nicht gibt.” Viele Institutionen, auch europaweit, müssten dafür besser und intensiver zusammenarbeiten. „Nicht weggucken, den Finger in die Wunde legen”, sagt Sievecke weiter, aber gleichzeitig müssten auch Lösungsansätze wie Abriss und Neubau wie hier in Gelsenkirchen ermöglicht werden.

Die Woche auf einen Blick
Korruption im Gelsenkirchener Jugendamt: Ein Mitarbeiter des Gelsenkirchener Jugendamts soll über Jahre hinweg Geld in die eigene Tasche gesteckt haben. Das berichtete die WAZ am Dienstag. Insgesamt geht es um 300.000 Euro an Unterhaltszahlungen, die der Sachbearbeiter für andere Familien bewilligt, aber dann auf Konten überweisen ließ, auf die er selbst Zugriff hatte, so die WAZ. Die Stadt geht bisher von einem Einzeltäter aus und hat Anzeige erstattet.
Wahlhelfer gesucht: Für die Kommunalwahl am 14. September sucht die Stadt Gelsenkirchen ab sofort freiwillige Wahlhelfer. Wer Zeit und Lust hat, kann sich online bei der Stadt melden. Wichtig ist, dass Freiwillige sowohl am 14. September, als auch bei einer möglichen Stichwahl am 28. September Zeit haben müssen. Wem der Einsatz für die Demokratie als Entschädigung nicht genug ist: Pro Wahltag zahlt die Stadt 100 Euro „Erfrischungsgeld”.

Im Spotlight
In dieser Woche haben wir die ersten Gäste in unserem Spotlight-Café in der Arminstraße begrüßt. Am Dienstag haben wir mit einer kleinen, reduzierten Speisekarte losgelegt. Wir haben schon Kaffee und Kuchen und erste kleine Snacks und belegte Brötchen im Angebot - aber wir üben auch noch. Kommen Sie trotzdem gerne schon vorbei.

Die große Eröffnung feiern wir dann am 20. Juni. Dazu möchten wir auch Sie als unsere ersten Leserinnen und Leser herzlich einladen:
Was? Eröffnungsfeier Spotlight Gelsenkirchen
Wann? 20. Juni, 18 Uhr
Wo? Spotlight Gelsenkirchen, Arminstraße 15, 45879 Gelsenkirchen
Der Eintritt ist frei. Bitte melden Sie sich bis zum 17. Juni unter folgendem Link an:
Link: https://tickets.correctiv.net/opening/
Nicht nur im Café, auch hier im Newsletter, der bald unsere digitale Lokalzeitung für Gelsenkirchen werden soll, befinden wir uns gerade noch in einer Testphase. Wir erproben zunächst noch Formate, finden unseren Stil und unsere Themen. Ich möchte Sie von Anfang an bitten: Geben Sie uns gerne jederzeit Feedback. Schreiben Sie mir eine E-Mail oder kommen Sie auf einen Kaffee in der Arminstraße vorbei - der geht dann auf mich.
Vielen Dank!
Ihr
Tobias Hauswurz
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